Mental Health Diseases
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Wie sieht ein besseres Morgen aus? Dr. Stefanie Arndt ist sich sicher, dass die Forschung dafür elementar ist. Die Meereisphysikerin sammelt Proben und Daten in der Arktis und Antarktis, um daraus Handlungsempfehlungen für ein besseres Morgen abzuleiten. In diesem Essay stellt Arndt ihre Arbeit vor und fordert eine Stärkung der Wissenschaft.
Ich treibe mit einer Handvoll Kolleginnen und Kollegen auf einer Eisscholle im Südpolarmeer. Der Helikopter, der uns abgesetzt hat, ist schon wiederverschwunden, unser Forschungsschiff mehrere Dutzend Kilometer entfernt. Wir sind umgeben vom Polartag. Die Eisscholle, auf der wir uns gerade befinden, ist nur etwa einen Kilometer groß. Unter mir sind etwa 30 Zentimeter Schnee, dann eine Eisschicht, ungefähr einen Meter dick. Und darunter: ein mehrere Tausend Meter tiefer Ozean.
Das ist einer meiner Arbeitsplätze als Meereisphysikerin. Mit Thermometer und Lupe untersuche ich den Schnee, der auf der Eisscholle liegt. Ich bewerte seine Kristallstrukturen und messe die Dichte. Ich entnehme Proben im vertikalen Profil. Der Schnee gibt Aufschluss darüber, was hier im vergangenen Jahr passiert ist. War es beispielsweise vor Ort eine Zeit lang warm, dann finde ich linsenförmige Eisschichten darin.
Noch weiter zurückschauen können wir, wenn wir das antarktische Landeis untersuchen. Es besteht aus kompaktiertem Schnee, ist je nach Tiefe viele Jahrtausende alt und deswegen ein Klimaarchiv: Im Eis gibt es mikrofeine Lufteinschlüsse, mit deren Hilfe wir die Zusammensetzung der Atmosphäre in der Vergangenheit bestimmen können.
Wir können mit unserer Forschung vielleicht nicht die Welt retten, aber sie ist – wie die Arbeit so vieler wissenschaftlicher Fachrichtungen – elementar, wenn es um eine bessere Zukunft geht. Beispiel Klimawandel: Nur wenn wir genau verstehen, wie sich unser Planet verändert hat und verändern wird, können wir Empfehlungen an Politik und Gesellschaft geben. Dazu werten wir die Daten aus, die uns die Natur der Polarregionen liefert, und modellieren sie an Forschungsstellen wie dem Alfred- Wegener-Institut in Bremerhaven, meinem Arbeitgeber.
Als positives Zeichen sehe ich, dass die öffentliche Debatte um den Klimawandel die Rolle der Wissenschaft gestärkt hat. Das Thema meiner Arbeit und der meiner Kolleginnen und Kollegen wird nun wahrgenommen und erfährt große Beachtung in den Medien. Die Menschen wissen, dass die Schmelze der polaren Eiskappen in einem direkten Zusammenhang mit den menschengemachten Emissionen von Treibhausgasen steht. Unser Forschungsschiff Polarstern ist einer der besten Eisbrecher der Welt und wir bekommen Unterstützung durch öffentliche Gelder. Denn viele Menschen haben verstanden, dass wir unsere Entscheidungen an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten müssen.
Einen ähnlichen Effekt hat nach meiner Beobachtung die COVID-19-Pandemie, wenn es um Gesundheitsforschung und die Rolle wissenschaftlicher Fakten in der Medizin geht. So schlimm diese Pandemie ist, so sehr hat sie eine notwendige Diskussion über die Bedeutung der medizinischen Forschung ausgelöst. Weite Teile der Gesellschaften auf der ganzen Welt folgen dem Rat von Virologinnen und Virologen und anderen Forschenden, denen sie vorher nie derartige Beachtung geschenkt hätten. Auch die meisten politischen Entscheidungsträger hören aktiv und mehr denn je auf die Wissenschaft.
Das Renommee der Wissenschaft steigt, in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt. Und doch sind die Forschungsbedingungen nicht immer so, wie sie sein sollten. Wenn wir die Rolle der Wissenschaft für ein besseres Morgen nachhaltig und dauerhaft stärken wollen, dann müssen wir vor allem an die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denken. Wir müssen es ihnen attraktiv machen, sich für den akademischen Berufsweg zu entscheiden.
Die Meereisausdehnung ist seit 1979 im Mittel um etwa 40 Prozent zurückgegangen. Am 12. September 2021 lag sie bei 4,8 Millionen Quadratkilometern, der bisherige Negativrekord stammt von 2012 und lag bei 3,2 Millionen Quadratkilometern. Die jährliche Ausdehnung ist stark variabel und erreicht im September ihr Minimum. Der Trend weist auf eine Abnahme von zehn Prozent pro Dekade hin.
Die Realität sieht leider ganz anders aus. Viele Forschungsprojekte sind nicht sicher, weil ihre Finanzierung durch Fördergelder und Projektmittel häufig nur auf kurze Sicht gewährleistet ist. Noch gravierender wiegt die persönliche Unsicherheit für junge Forschende, die sich von einem zum nächsten befristeten Vertrag hangeln und ihre persönliche Lebensplanung dafür zurückstellen müssen.
Es ist an der Zeit, mehr Geld in die wissenschaftliche Forschung zu investieren. Nur so sind fundamentale Menschheitsaufgaben wie das Abmildern des Klimawandels oder das Bewältigen von Pandemien zu meistern.
Die Wissenschaft muss sich aber auch viel stärker der Gesellschaft öffnen und ihre Erkenntnisse der Bevölkerung auf interessante Weise und verständlich vermitteln. Als wir uns mit der Polarstern im Oktober 2019 im arktischen Meereis einfrieren ließen, um bis September 2020 rund 5.400 Kilometer weit durch die Arktis zu driften, war ein Filmteam an Bord, das später eine erfolgreiche Dokumentation veröffentlichte. Von solchen Aktivitäten muss es noch viel mehr geben. Ich selbst war von Februar bis Juni 2020 an Bord der Polarstern und habe anschließend in den Medien, an Schulen und bei vielen anderen Gelegenheiten darüber berichtet. Wissenschaft ist eben auch immer Kommunikation.
Wie sieht für mich persönlich ein besseres Morgen aus? Mein Traum ist eine Zukunft, in der wir Antworten auf die wichtigen Herausforderungen des Alltags gefunden haben. In diesem Morgen gibt es immer noch Risiken wie Hochwasser, Dürren oder Krankheiten. Aber Wirtschaft und Wissenschaft, Gesellschaft und Politik sind in der Lage, diese Risiken zu erkennen, den Menschen machbare Auswege aufzuzeigen und ihnen damit ihre Ängste zu nehmen. Das alles bedarf einer großen Anstrengung. Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken.