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Wie Großmütter in Simbabwe als ausgebildete Gesprächs­therapeutinnen Leben retten

Auf der ganzen Welt werden Großmütter wegen ihrer Lebenserfahrung und Weisheit geschätzt. In Afrika genießen sie besonders hohes Ansehen. Deshalb sind sie Teil der „Friendship Bench“ – ein lebensrettendes Projekt für die mentale Gesundheit in Simbabwe, eines der leidgeprüftesten Länder des Kontinents.

Für eine Bevölkerung von 15 Millionen Menschen gibt es in Simbabwe gerade einmal 15 Psychiater. Dr. Dixon Chibanda ist einer von ihnen. Das verarmte Land im Süden Afrikas hat eine der höchsten Suizidraten der Welt – das weiß Dr. Chibanda nur allzu gut.

Ein einschneidendes Erlebnis hatte er vor über zwölf Jahren, als eine von ihm behandelte suizidgefährdete junge Frau nicht zu ihrem Termin erschien. Er forschte nach und erfuhr schließlich von ihrer Mutter, dass ihre Tochter deshalb nicht gekommen sei, weil sie die 15 Dollar für die Busfahrkarte zu seiner Praxis in der Hauptstadt Harare nicht bezahlen konnte. Stattdessen hatte sie sich das Leben genommen.

Da beschloss Dr. Chibanda, dass sich etwas ändern musste.

„Mir wurde klar, dass es nicht funktionieren wird, wenn die Leute zu mir kommen sollen“, erklärt er. Dann hatte er eine Idee: „Die zuverlässigste Ressource in Afrika sind Großmütter. Es gibt welche in jeder Gemeinde. Wie wäre es also, wenn wir die Großmütter in evidenzbasierter Gesprächstherapie ausbilden?“

So begann Dr. Chibanda 2006 mit seiner ersten Gruppe von Großmmüttern in Mbare, einem Township in Harare, zu arbeiten. Heute unterstützen mehr als 2.000 Großmütter in über 100 Gemeinden in ganz Simbabwe das Projekt, das unter dem Namen „Friendship Bench“ bekannt ist. Der Name leitet sich von der einfachen Holzbank ab, auf der diese ehrenamtlichen Therapeutinnen sitzen, oft vor Kliniken, und sich die Sorgen der Menschen anhören.

Bislang hat das Projekt mehreren zehntausend Menschen geholfen – ganz ohne Termine, nervenaufreibende Bürokratie oder die Angst, verurteilt zu werden.

„In einem Land wie Simbabwe, in dem psychische Krankheiten mit Scham behaftet sind, ist es wichtig, eine Sprache zu sprechen, die von den Menschen akzeptiert wird“, weiß Dr. Chibanda, der heute Leiter des Friendship Bench-Projekts ist.

Deshalb sprechen die Großmütter auch nicht von Depressionen. Stattdessen verwenden sie den Begriff „kufungisisa“, was auf Shona, einer in Simbabwe weit verbreiteten Sprache, „zu viel denken“ bedeutet. Außerdem werden diese älteren Frauen von den Menschen in Simbabwe eher akzeptiert als Ärztinnen und Ärzte.

Boehringer Ingelheim unterstützt das Friendship-Bench-Projekt schon lange. „Das Konzept hat sich als sehr effektiv erwiesen, weil die Großmütter tief in ihrer Gemeinschaft verwurzelt sind und unglaublich viel Empathie mitbringen“, erklärt Michael Schmelmer, als Mitglied der Unternehmensleitung verantwortlich für Finanzen & Konzernfunktionen.

„Wir bei Boehringer Ingelheim unterstützen dieses Projekt, da auch wir die mentale Gesundheit für ein sehr wichtiges Thema halten, das das Leben von Millionen von Menschen in jedem Alter berührt“, so Schmelmer weiter. „Deshalb konzentrieren wir uns in unserer Forschung auch auf die mentale Gesundheit. Initiativen wie diese haben das Potenzial, das Leben von Menschen maßgeblich zu verbessern.“

„Die zuverlässigste Ressource in Afrika sind unsere Großmütter. Es gibt sie in jeder Gemeinde. Wie wäre es also, wenn wir die Großmütter in evidenzbasierter Gesprächstherapie ausbilden?“– Dr. Dixon Chibanda
Die Großmütter sprechen nicht von Depressionen. Sie verwenden den Begriff „kufungisisa“, der auf Shona, einer in Simbabwe weit verbreiteten Sprache, „zu viel denken“ bedeutet.
Darüber hinaus werden die älteren Frauen von der Bevölkerung viel eher akzeptiert als Ärztinnen und Ärzte.
Heute wird das Projekt von über 2.000 Großmüttern in über 100 Gemeinschaften in ganz Simbabwe unterstützt.

Besonders Schutzbedürftige erreichen

Seit Anfang dieses Jahrhunderts stand Simbabwe immer wieder vor gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen, es gab Gewalt, Hunger, Krankheiten und ein vernachlässigtes Gesundheitssystem. Ereignisse wie Pandemien und Hungersnöte verschärften die Situation. All das hat zu einem zunehmenden Gefühl der sozialen Vulnerabilität geführt, dabei sind städtische und ländliche Gebiete gleichermaßen betroffen. Viele Menschen leiden an Depressionen, auch andere psychische Erkrankungen sind weit verbreitet. Dazu kommt, dass psychische Erkrankungen oft aufgrund von Verurteilungen und Stigmatisierung nicht ernst genommen oder verharmlost werden. In einigen Regionen gelten Betroffene sogar als besessen.

Die Großmütter der Friendship Bench leisten deshalb einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, die Kultur und das Gesundheitswesen.

„Unsere klinische Studie hat gezeigt, dass Patienten, die sich regelmäßig mit einer Großmutter trafen, sechs Monate nach der ersten Sitzung auf der Bank immer noch symptomfrei waren“, sagt Dr. Chibanda. „Unsere Großmütter können Depressionen effektiver behandeln als Ärztinnen und Ärzte.“

Dr. Chibanda und sein Team möchten das Projekt nun auch auf andere Länder ausweiten. „Weltweit gibt es über 600 Millionen Menschen, die älter als 65 Jahre sind“, sagt er. „Man stelle sich vor, man könnte ein globales Netzwerk mit psychologisch ausgebildeten Großmüttern in jeder Hauptstadt der Welt einrichten. Das würde in den Gemeinden viel verändern und die Behandlungslücken schließen.“

Dr. Dixon Chibanda,Gründer und Leiter des Friendship Bench-Projekts

Dr. Dixon Chibanda ist Gründer und Leiter des Friendship-Bench-Projekts. Er ist Psychiater, Professor für Psychiatrie an der University of Zimbabwe, Associate Professor in Global Mental Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine und Direktor der African Mental Health Research Initiative.

Außerdem ist Dr. Chibanda ein Ashoka Fellow, er hat erfolgreich systemische Innovationen angestoßen und so Veränderungen in seiner Gemeinde erreicht. Ashoka ist eine gemeinnützige Organisation, die Sozialunternehmerinnen und -unternehmer unterstützt und Netzwerke von Pionierinnen und Pionieren pflegt, die sich für einen institutionellen und kulturellen Wandel engagieren. Ashoka ist ein langjähriger Partner der Boehringer-Ingelheim-Initiative Making More Health.