Dass die richtigen Patientinnen und Patienten zur richtigen Zeit die richtigen Produkte erhalten und das auf effiziente und nachhaltige Weise, erfordert eine Menge Arbeit, besonders, wenn das Produkt ein lebensrettendes Medikament ist. Bei Boehringer Ingelheim wird jeder Schritt der globalen Lieferkette, von der Produktion der Wirkstoffe bis zum fertigen Produkt, sorgfältig koordiniert. Dabei stehen die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten stets im Mittelpunkt.
Um die pharmazeutischen Produkte erfolgreich herzustellen und zu vertreiben, die weltweit benötigt werden, muss der künftige Bedarf möglichst präzise vorhergesagt werden. Die Bedarfsprognose des Bereichs Human Pharma bei Boehringer Ingelheim nutzt dafür Daten aus allen Ländern und Regionen, in denen das Unternehmen aktiv ist. Auf Grundlage dieser Daten nimmt das Lieferkettenteam mit Fachleuten aus den Bereichen Operations, Marketing, Vertrieb, Finanzen und anderen Funktionen eine detaillierte Bedarfsplanung vor.
„Wir orchestrieren ein globales Produktions- und Vertriebsnetzwerk. Wir legen fest, was wir herstellen und vertreiben wollen, was die Bedürfnisse der Patienten sind und wie unser flexibles Liefernetzwerk diese Bedürfnisse erfüllen kann“, erläutert Jens Schader, Global Head of Supply Chain Management & Strategy für Human Pharma bei Boehringer. „Dabei spielen wir immer mehrere Szenarien durch, da wir nie zu 100 Prozent sicher sein können, was die Zukunft letztlich bringen wird. Lieferketten müssen resilient sein, da unsere Welt immer volatiler und unberechenbarer wird.“
“Lieferketten müssen resilient sein, da unsere Welt immer volatiler und unberechenbarer wird.”
„Steigt unerwartet der Bedarf, können Pharmahersteller nicht einfach ein paar zusätzliche Maschinen in Betrieb nehmen, ein paar Schalter umlegen und mehr produzieren“, sagt Jiong Qu, Head of Global Supply Strategy für Human Pharma Operations.
Lieferketten müssen kontinuierlich nachjustiert werden. So ergreift Boehringer angesichts der rasant steigenden Nachfrage nach Jardiance-Tabletten aktuell Maßnahmen, um Produktion und Vertrieb bis 2028 mehr als zu verdoppeln. Zu den Maßnahmen zählen die technische Anpassung von Standorten an neue Prozesse, die Einstellung und Schulung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Freisetzung interner Produktionskapazitäten durch Vertragsvergabe an externe Partner, die die Fertigung anderer Produkte übernehmen, die fortlaufende Einbindung der Regulierungsbehörden sowie die kontinuierliche Neuorientierung und Erweiterung des Vertriebsnetzwerks durch regionale und lokale Partner.
Jardiance®, ein Mittel zur Behandlung von Herz-Kreislauf-, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen und das am besten verkaufte Produkt von Boehringer, erlebte Ende 2022 einen regelrechten Nachfrageboom. Grund war die Erweiterung der ursprünglichen Typ-2-Diabetes-Indikation zu einer Indikation für Nieren- und Herzerkrankungen. „Wir mussten die Liefermenge innerhalb von nur drei Monaten um 40 Prozent hochfahren“, erinnert sich Qu, der seit 24 Jahren für Boehringer Ingelheim im Geschäft ist. „Der Erfolg überstieg unsere kühnsten Erwartungen.“
Hat das Unternehmen die Nachfrage nach einem Produkt ermittelt, müssen die einzelnen Glieder der Lieferkette reibungslos ineinandergreifen, um den Bedarf zu decken. Dies geschieht in vier aufeinanderfolgenden Schritten:
Im ersten Schritt werden bei sorgfältig ausgewählten Lieferanten die notwendigen Rohstoffe und Hilfsstoffe eingekauft. Gemeinsam mit Partnern muss Boehringer Ingelheim dafür sorgen, dass das Angebot sicher, krisenfest und nachhaltig ist und zudem den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Die Herstellungsqualität, ethische Geschäftspraktiken, die Einhaltung der Menschenrechte sowie Gesundheits- und Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz werden aktiv entlang der gesamten Lieferkette überwacht.
Im zweiten Schritt werden aus den Rohmaterialien pharmazeutische Wirkstoffe und Endprodukte hergestellt, die im Anschluss verpackt werden. Die von Boehringer Ingelheim genutzten Wirkstoffe können zwei Kategorien zugeordnet werden: chemischen und biologischen Substanzen. Viele dieser Substanzen werden in Europa hergestellt, wo bewährtes Know-how, gut ausgebildete Arbeitskräfte, kurze Reaktionszeiten, zuverlässige Qualitätskontrollen und kurze Transportwege zu wichtigen Märkten ein hohes Maß an Kontrolle und Versorgungssicherheit ermöglichen. Bei der Herstellung seiner Produkte stützt sich Boehringer Ingelheim auf ein robustes globales Netzwerk aus eigenen Produktionsstandorten und externen Vertragspartnern. Auf diese Weise kann das weltweite Angebot flexibel an Veränderungen der Nachfrage sowie die lokalen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden. Um die Produkte für die Distribution vorzubereiten, werden sie in spezielle Primär- und Sekundärverpackungen wie Blisterfolien, Fläschchen und Schachteln verpackt. In manchen Fällen sind auch zusätzliche Medizinprodukte wie zum Beispiel Autoinjektoren erforderlich.
Im dritten Schritt werden die fertigen Arzneimittel in Containern mit Temperaturloggern verpackt, um sicherzustellen, dass der Transport unter optimalen Bedingungen erfolgt. Beim weltweiten Versand seiner Produkte bevorzugt Boehringer den Seeweg und nutzt seltener das Flugzeug als andere Vertreter seiner Branche. Der Grund: Der Seetransport ermöglicht nicht nur eine bessere Temperaturkontrolle, sondern erzeugt auch weniger CO2.
„Nachhaltigkeit wird immer wichtiger“, weiß Schader. „Wir nutzen Luftfracht nur in Ausnahmefällen, wenn wir schnell handeln oder reagieren müssen. Wenn es auf höchste Flexibilität ankommt, haben die Bedürfnisse unserer Patientinnen und Patienten oberste Priorität.“
Im vierten Schritt nutzt Boehringer lokale Distributionspartner, um seine Produkte an Großhändler, Krankenhäuser und Apotheken ausliefern zu lassen, die diese dann an die Patientinnen und Patienten weitergeben. Bis zu diesem Punkt wurde jeder Schritt präzise erfasst, um die Qualität der Arzneimittel zu gewährleisten und ihre rechtzeitige Verfügbarkeit sicherzustellen. Bei Nachfrage- oder Angebotsschwankungen greifen Schader und sein Team auf lokale Sicherheitsbestände zurück.
Als es 2023 aufgrund von regionalen Konflikten, Kapazitätsengpässen und Energieknappheit zu angespannten und sogar unterbrochenen Lieferketten kam, stieg der Druck im Bereich der Arzneimittelversorgung. Sicherheitsbestände, die in allen Abschnitten der Lieferkette als Puffer dienen, sorgten dafür, dass Boehringer Ingelheim seine Produkte zuverlässig liefern konnte.
Eine klare Kommunikation entlang der gesamten Lieferkette ist unverzichtbar, um das Vertrauen von Kunden und Distributoren aufrechtzuerhalten und nervöse Überreaktionen zu vermeiden, wie sie in Branchen mit weniger stabilen Lieferketten immer wieder auftreten. So behält das Lieferkettenteam fortlaufend das Verhalten der Kunden im Blick und hält Ausschau nach möglichen Mehrfachbestellungen. So wird sichergestellt, dass Produkte dann verfügbar sind und geliefert werden, wenn Patientinnen und Patienten sie auch wirklich brauchen.
Darum bleibt das Lieferkettenmanagement ein ständiger Balanceakt, bei dem es darum geht, verschiedene Stakeholder davon zu überzeugen, dass das Unternehmen aktuelle und künftige Bedarfe zuverlässig erfüllen wird. „Wir haben viele Hebel, um die Versorgung sicherzustellen“, betont Qu.
Dieser Punkt kann gar nicht oft genug erwähnt werden. Durch sein effizientes Lieferkettenmanagement ist Boehringer Ingelheim jederzeit in der Lage, Patientinnen und Patienten rechtzeitig mit den notwendigen Arzneimitteln zu versorgen.
„Die Anfälligkeit globaler Lieferketten ist aktuell eine der größten Herausforderungen, denen sich die Industrie stellen muss“, ist Schader überzeugt. Er und sein Team wissen, dass sie das Management des weltweiten Liefernetzwerks von Boehringer fortlaufend anpassen und optimieren müssen, um für die Zukunft gewappnet zu sein, besonders, weil sich die Produkt-Pipeline stetig weiterentwickelt.
„Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt“, konstatiert Schrader. „Damit wir die vielversprechenden Produkte in unserer Pipeline zu den Kunden bringen können, brauchen wir ein leistungsfähiges Netzwerk und modernste Systeme. Wir müssen die perfekte Balance zwischen nachhaltigem Handeln und mehr Resilienz finden, um die Bedürfnisse all der Menschen, die auf unsere Arzneimittel angewiesen sind, auch künftig befriedigen zu können.“